Dem Größeren zugewendet
DAS TAO DAS MAN BENENNEN KANN IST
NICHT DAS WAHRE TAO
Dieser erste Vers das Tao
de King, der mich schon sehr lange begleitet, beschäftigt mich gerade in
letzter Zeit mehr und mehr. Weist er doch unausweichlich auf etwas hin, was wir
mit unseren Verstand nicht erklären können. Wie ein Wegweiser, der ins
Nirgendwo zeigt. Und doch muss da etwas sein, etwas das jedoch nicht zu
benennen, oder zu beschreiben ist.
Vielleicht ist es eine
Sehnsucht, eine Ahnung, ein nicht erklärbares Wissen über ein Geheimnis, das
uns diesen Vers so interessant erscheinen lässt. Denn dieser Vers ist mehr als
2500 Jahre alt und noch immer nicht in der Geschichte versunken.
All das was wir
beschreiben können ist nicht das Wahre!
All die Erklärungen, Erläuterungen,
Beschreibungen, die sich auf diese, für unseren denkenden Verstand, nicht zu
erfassende Dimension beziehen, können sie uns nicht näher bringen. Im
Gegenteil, je näher wir uns mit diesen Beschreibungen und Erklärungen wähnen,
desto weiter sind wir vom Wahren (Tao, Gott, universelles Bewusstsein usw)
entfernt.
Vielleicht ist das unser
menschliches Dilemma, dass wir einerseits eine Ahnung bzw. Gewissheit von dieser
Dimension haben und andererseits es unmöglich ist, sie mit unserem denkenden
Verstand zu erfassen. Vielleicht sind deshalb all die Religionen, die
Philosophien, die spirituellen Wege entstanden um uns Erklärungen gerade auf
diese wohl existentiellen Fragen unseres Seins zu geben. Diese Erklärungen und
Beschreibungen wollen uns jedoch nichts anderes als Orientierung und Sicherheit
bieten. Wir übersehen aber hier gerne die Macht der Manipulation und Selbstmanipulation,
die damit einhergeht.
Natürlich können all
diese, oft überzeugenden Beschreibungen und Erklärungen in verschiedenen
Lebenssituationen, große Hilfen sein. Natürlich können sie unsere Sehnsucht
nach Sicherheit und Ordnung manchmal befriedigen. Auch all die guten
Anleitungen zu einem besseren Menschen, zu einem besseren Leben sind oft sinnvoll
und hilfreich. Doch sie führen, meiner Erfahrung nach am Eigentlichen vorbei
bzw. zielen nicht darauf ab.
Deshalb bin ich auf
meinem langen Selbst – Erfahrungs - Weg zur folgenden Einsicht gelangt.
Solange wir noch irgend einen
Namen, irgend eine Bezeichnung, irgend eine Erklärung für das nicht zu
Beschreibende in uns tragen, werden wir mit dem „Wahren“ nicht in Verbindung
kommen können. Wir schauen auf die Bilder, die wir mit diesen Namen,
Bezeichnungen oder Erklärungen verbinden und können deshalb nicht das erkennen,
was außerhalb dieser angelernten Vorstellungen auf uns wartet.
Es ist jedoch das
Namenlose, das nicht zu Beschreibende, das Unvorstellbare, das als erster Vers
im Tao Te King steht. Ein Vers, der all unsere Bemühungen nach Verständnis,
also als etwas, das wir mit unserem Verstand erfassen könnten, widersteht.
Erst wenn wir bereit
sind wirklich alles sein zu lassen und uns auf nichts mehr zu beziehen, das wir
beschreiben können, also uns offen der Ungewissheit und Unsicherheit unserer
Existenz aussetzen, werden wir bereit für das Unbekannte.
Ich nenne es seit vielen
Jahren einfach „das Größere“. Diese Bezeichnung fixiert uns nicht auf etwas
Bestimmtes, sondern lässt all das offen, was wir nicht beschreiben können. Sie
weist jedoch auf etwas hin, das größer ist, als das, was wir uns vorstellen
können.
Wie kann nun dieser Weg ausschauen,
der uns dem Größeren näher bringt?
Wir haben im Laufe
unseres Lebens gelernt, die Wahrnehmung der äußeren Realität sofort zu
interpretieren, dann zu bewerten und dann in unsere innere Wirklichkeit
einzuordnen. In der Folge erleben wir hauptsächlich unsere innere Antwort auf
die äußere Realität als die wahrnehmbare und erlebbare Wirklichkeit.
Dieser Schritt vom Wahrnehmen
der äußeren Realität bis zum Erleben unserer eigenen inneren Wirklichkeit ist
üblicherweise so kurz, dass wir keinen Unterschied von der Wahrnehmung zum
Erleben bemerken. Wir glauben die erkannte Realität zu erleben, erleben aber hingegen
unsere innere Wirklichkeit als real!
Am besten ist dieses
Phänomen zu beobachten, wenn wir das was wir wahrnehmen in Worte fassen. Dann erkennen
wir sehr deutlich den Unterschied von der Wahrnehmung zur Interpretation.
Wenn wir jedoch diesen
Prozess schon am Beginn stoppen können, also beim Wahrnehmen der Realität
bleiben, ohne sie zu interpretieren, ohne Worte dafür zu haben, dann sind wir
dem Unbeschreiblichen schon sehr nahe.
Voraussetzung dafür ist,
wenn wir uns trauen, sich dem Unbekannten, dem nicht Beschreibbaren rückhaltlos
auszusetzen. Dieser Schritt ist jedoch weder ein geistiger, noch ein intellektueller,
sondern ein FÜHLENDER!
Einzig durch unser
Fühlen haben wir die Chance den lebendigen Augenblick direkt und unmittelbar zu
erleben! Es ist das wortlose Erkennen in der fühlenden Wahrnehmung, das uns
diesem Mysterium der gegenwärtigen Realität, ohne Filter, ohne Beschreibung oder
Interpretation, näher bringt.
Wenn wir also bereit
sind, ganz in der fühlenden Wahrnehmung zu bleiben und gleichzeitig unsere
Aufmerksamkeit weit werden lassen, dann eröffnet sich uns die Chance dieser Dimension
des Unsagbaren, des Unfassbaren näher zu kommen.
Ohne Wissen oder Erklären
– offen für das Unbekannte werden!
Es ist eine Mutprobe,
sich ganz der fühlenden Wahrnehmung, dem fühlenden Gewahr sein hinzugeben. Sich
selbst zu vergessen, sich tief in den gegenwärtigen Augenblick hinein sinken zu
lassen und ganz im fühlenden Erleben aufzugehen. Aus sich herauszutreten und
sich total in die unmittelbare Erfahrung ohne Rückhalt einzulassen und dabei
weiterhin offen für das jetzt noch nicht Erkennbare bleiben. Also sozusagen am
Entstehen der Gegenwart aus dem noch nicht Gegenwärtigen teilzunehmen.
Mir fällt es in letzter
Zeit dort leicht, wo ich mich mit der Natur verbunden fühle.
Ja, viele Worte, doch
wie ich hoffe, kein Futter für Vorstellungen!
Diese spezielle Möglichkeit
sich dem Größeren zuzuwenden ist aus dem Erleben meines eigenen Weges ohne mein
„Zutun oder Wollen“ entstanden. Immer wieder habe ich mich (meiner Sehnsucht
folgend?) dem Unbekannten ausgesetzt. Also mich nicht auf meine Erfahrung oder auf
mein angesammeltes Wissen verlassen, sondern mich meinem „nicht Wissen“
gestellt. So wurden gerade die Begegnungen in den Sessions der Seminare für
mich immer wieder zu Mutproben, mich vom Unfassbaren berühren zu lassen und mich
diesem Mysterium hin zu geben. Es ist nach wie vor das Größere, das sich mir
damals wie heute erst dann eröffnet, wenn ich mich traue, alles andere hinter
mir zu lassen.
Diese kostbare
Möglichkeit der Annäherung an das Größere habe ich nun versucht darzustellen,
ohne, wie ich hoffe, neue Bilder oder Vorstellungen zu erzeugen.
In diesem Sinne freue
ich mich, wenn mehr Menschen daran Interesse haben. Natürlich ist das nur eine
Möglichkeit von vielleicht vielen und dir selbst ist es überlassen dich darauf
einzulassen oder aber einen anderen Weg zu verfolgen, der für dich besser geeignet ist.
Vielleicht ist es eine
Inspiration, ein Anstoß hinter den „Kulissen“ des Alltages die Tiefe des Lebens
zu suchen.
Günther Vetter im
Dezember 2021